Geschichtsunterricht aus Budapest
Natürlich kann man in Budapest viele schöne Tage verbringen, indem man all die Sehenswürdigkeiten besichtigt, die diese Stadt zu bieten hat. Aber wenn man die Ungarn besser verstehen möchte, lohnt es sich auf jeden Fall, einen Blick auf die dunklen Zeiten des 20. Jahrhunderts zu werfen. Der Sieger schreibt die Geschichte, und in Budapest hat es einige Wechsel des „Siegers“ gegeben. Nach dem Ersten Weltkrieg verloren die Ungarn zwei Drittel ihres Landes (und ihrer Einwohner), da sie Teil Österreich-Ungarns und somit mitschuldig waren. Im Zweiten Weltkrieg schlossen sie sich Deutschland an, in der Hoffnung, Land zurückzugewinnen, waren aber dennoch ein Zufluchtsort für Juden. Danach wurden sie befreit und erneut besetzt, diesmal von Russland. Und 1989 begann in Ungarn der Fall des Eisernen Vorhangs und damit der Untergang des Kommunismus.
Jüdischen Viertel
Absolut empfehlenswert ist ein geführter Spaziergang durch die jüdischen Viertel und ein Besuch der großen Synagoge (der größten Synagoge Europas) sowie des Denkmals der Schuhe am Kai. Das macht einen ganz still. Aus ganz Europa flohen Juden nach Budapest, weil sie hier nicht verfolgt wurden. Bis 1944, in den letzten Monaten des Krieges, Hitler seine Geduld verlor. Es folgte ein Staatsstreich. Aber die Ungarn sabotierten die Versuche, Juden zu deportieren, und deshalb wurden die Juden, Zigeuner und andere vor Ort hingerichtet. Wie viele, weiß niemand, unser Führer schätzte 400.000 bis 600.000…

Terror Háza
Das Museum „Terror háza“ (Haus des Terrors) zeigt Bilder sowohl aus der Zeit des Nationalsozialismus als auch aus der darauf folgenden kommunistischen Zeit. Eindringlich, hart, aber dennoch empfehlenswert. Nach der dunklen Hitler-Zeit wurden die Ungarn schließlich von den Russen „befreit“. Auf den Bildern sieht man die glücklichen Gesichter, die unglaubliche Hoffnung, dass es besser werden würde, denn das hatten die Russen schließlich versprochen. Hitler hatte nicht gebracht, was sie sich erhofft hatten, aber dieses Mal? In den folgenden Jahren wurden die Landbesitzer und viele andere gnadenlos behandelt. Und wieder fanden 100.000 Menschen den Tod. Aber die alten Bilder im Fernsehen zeigen die Propaganda jener Zeit: Hätte ich das geglaubt? Und ist dieses Museum nicht genauso Propaganda, in der die Vergangenheit in einem pechschwarzen Licht dargestellt wird?
Memento Park

Ein letzter Ausflug zu dieser Zeit war der „Memento Park“. In verschiedenen Ländern gibt es Diskussionen darüber, wie man mit Bildern aus einer Geschichte umgeht, auf die man nicht stolz ist. Zum Beispiel Leopold II. in Belgien. Zerstört man sie? Lässt man sie stehen? Die Ungarn haben ihre Bilder aus der kommunistischen Zeit in diesem Park zusammengetragen und aufbewahrt. Eine schöne Zwischenlösung, um die Geschichte nicht zu vergessen, aber auch nicht zu ehren. Wie heroisch und wunderschön! Bilder, die durch das Einschmelzen älterer Bilder früherer Herrscher entstanden sind. Jetzt werden sie aufbewahrt und gedeutet.
Unser Respekt für die Ungarn, die trotz allem ihre Eigenständigkeit bewahrt haben, wuchs. Wir hörten viele Anekdoten über stillen Widerstand: Die Schulkinder, die Kartoffeln ausgraben mussten, drückten sie mit ihren Schuhen tiefer in den Boden, damit der Bauer noch etwas übrig hatte. Die Jugendlichen mussten in der Schule Russisch lernen, aber sie sind stolz darauf, dass niemand es wirklich gelernt hat.
Und dann wird einem klar: Meine Altersgenossen hier sind unter dem Kommunismus aufgewachsen, haben von ihren Eltern Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg gehört und gehören erst seit 1989 zum „freien Westen“. Mit einer gewissen Skepsis, einer gewissen Zurückhaltung und einer gehörigen Portion Wehmut. Kein Wunder, dass die ältere Generation kein Englisch spricht.
Unsere neuen Landsleute: ein faszinierendes, starkes und schönes Volk. Und die Lektion, die wir erneut gelernt haben: Jede Geschichte hat zwei Seiten, und selten ist etwas schwarz-weiß. Wer wird später die Geschichte über die heutige Zeit erzählen? Und wie wird die Schlussfolgerung lauten?




